VIII

 

Pérez saß in einem Sessel, der eher an einen Thron erinnerte.

Wir hatten ihn im letzten Appartement auf der rechten Seite gefunden, umgeben von seinen engsten Mitarbeitern.

Zwei Frauen und vier Männer. Werwölfe, allesamt verwandelt.

Er selbst saß in seiner menschlichen Gestalt vor uns.

Das Grinsen auf seinem Gesicht war widerlich. Dabei fragte ich mich, was es zu grinsen gab. Schließlich waren wir hier, hielten Waffen in Händen und bedrohten ihn. Seine Leibwächter – oder wie immer man sie auch nennen wollte – konnten die Tatsache nicht ändern, dass er in der Scheiße saß.

So zumindest sah es aus.

»Bravo. Bis hierher seid ihr gekommen. Eine reife Leistung, meine Freunde. Wer hätte gedacht, dass sich zwei Marshals nicht nur nicht von meinen technischen Spielereien abschrecken lassen, sondern auch jeden Werwolf töten, der sich ihnen in den Weg stellt. Ihr seid besser als gedacht.«

»Weißt du was, du krankes Schwein? Ich habe überhaupt keine Lust auf deine Sprüche!« Damit drückte ich ab, noch bevor es die Werwölfe begriffen.

Selbst mein Partner drehte erstaunt den Kopf.

Die Kugel hieb in Pérez’ Kopf ein – und ging hindurch. Deutlich konnten wir sehen, dass das Geschoss in die Rücklehne des Sessels hieb.

Pérez lachte, während wir einen Moment brauchten, um zu begreifen.

»Ein Hologramm?«, rief Marc erstaunt. »Diese Technik …« Er schaute sich um und sah einen kleinen Projektor an der Wand gegenüber dem Sessel.

»Ein Hologramm!«, bestätigte Pérez. »Ihr habt meine Pläne durchkreuzt, aber mich bekommt ihr nicht.«

Er lachte laut.

Ich hingegen wirbelte herum und eilte hinaus. »Marc!«, rief ich dabei. »Er kann nicht weit entfernt sein!«

Mein Partner folgte mir, während sich die Werwölfe nicht rührten. Offenbar hatte keiner von ihnen Lust, dem Teufel die Hand zu schütteln.

Wir eilten den Gang entlang.

»Warum denkst du, dass er nicht weit entfernt sein kann?«, rief mir mein Partner nach, der zwei Schritte hinter mir lief.

»Weil er per Funk mit uns gesprochen hat. Sender und Empfänger von ihm müssen sich also in Reichweite des Hauses befinden, so klar und schnell seine Reaktionen kamen.«

Wir kamen zu den Treppen. Aber diesmal wollte ich den schnellen Weg nehmen.

Ich schaute in den Schacht der Aufzüge und sah, dass eines der Kabel bis hinab führte.

Ohne zu zögern wuchtete ich mich in die Tiefe, griff im richtigen Moment zu und schon baumelte ich über dem Abgrund.

»Lara, spinnst du?«, rief mir Marc nach. »Ich nehme die Treppe!«

»Okay.« Ich begann, mich in die Tiefe gleiten zu lassen. Stück für Stück, ohne mir die Hände zu verbrennen.

Schließlich sah ich das Erdgeschoss kommen. Ich stoppte, pendelte vor und zurück, um mich dann aus der offenen Tür in den Gang zu wuchten. Dort kam ich auf, rollte über die Schulter ab und spurtete hinaus.

Die roten Rücklichter eines Wagens verschwanden um die Ecke.

»Scheiße, er ist weg!« Ich lief zu unserem Fahrzeug. »Marc, wo bist du?«

»Dritter Stock!«, kam es keuchend zurück. »Gleich zweiter Stock. Verdammt, bist du fix!«

»Mach schneller!« Da Marc die Schlüssel hatte, konnte ich nicht die Verfolgung aufnehmen.

»Ich bin gleich da!«, keuchte mein Partner.

Kaum eine Minute später kam er aus dem Haus, ließ die Schlösser der Türen aufschnappen und umkreiste den Wagen.

»Das nächste Mal nehme ich die Schlüssel!«, rief ich ihm zu. Es war klar, dass wir verloren hatten. Ich wusste nicht einmal, in welchem Fahrzeug Pérez geflohen war.

Wie also sollten wir ihn bei dem Verkehr in New York City schnappen?

Während Marc Gas gab, rief ich das NYPD an und ließ mich mit dem Chef vom Dienst verbinden.

Wir brauchten wachsame Beamte am Hafen sowie auf den Flughäfen und Bahnhöfen. Nicht nur im Big Apple, sondern auch in New Jersey . Auch mussten die Mautstellen informiert werden.

Nachdem das Gespräch beendet war, schaute ich mich um. Wir fuhren durch die Bronx, näherten uns aber deren Grenze.

»Ich denke«, erklärte Marc zerknirscht, »das wir ihn erneut verloren haben. Der macht sich aus dem Staub.«

»Ja. Wir haben seine Pläne durchkreuzt. Macht er weiter, wissen wir, dass er noch hier ist. Also muss er sich zurückziehen und warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Oder einen anderen Plan aushecken, um seine Ziele zu erreichen.« Ich lachte freudlos. »Wie war das mit den mörderischen Trieben? Im Wilson-Project bekommt dieser Ausdruck eine völlig neue Bedeutung, oder?«

Wir hatten die Bronx hinter uns gelassen.

»Ist das da hinten ein Computerladen?«, fragte ich meinen Partner.

Dieser nickte. »Eine Kette. Die verkaufen im ganzen Land Geräte. Meine Frau hat …«

»Halt an!«, unterbrach ich ihn.

Kaum stand der Wagen, als ich auch schon über die Straße lief, den Laden betrat und mich umschaute.

»Ein Notebook mit Bluetooth!«, rief ich dem Verkäufer nach ein paar Sekunden zu. »Lange Akku-Dauer und ein Adapter, um es im Auto laden zu können.«

Ich erhielt das Gewünschte, zahlte mit der Spesen-Kreditkarte des USMS und eilte zurück zum Wagen. Dort packte ich das Gerät aus und schaltete es ein.

»Fahr!«, bat ich Marc, während ich die Software einrichtete. Viel benötigte ich nicht; lediglich einen Browser. Und den lieferte das System bereits von Haus aus.

»Was tust du da eigentlich?«, fragte mich mein Partner.

»Mir ein System der Agency ausleihen, sofern ich noch Zugriff habe.« Ich verband das Notebook mit dem PDA; um ihn als Modem zu nutzen, rief eine verschlüsselte Webseite auf und gab jenen Code ein, den ich als Agentin nutzte. Da es sich nicht um einen persönlichen Zugang handelte, war er aktiv und ich konnte eine Anfrage an die Satelliten stellen, auf welche die CIA Zugriff hatte.

Anschließend lud ich ein Bild von Pérez, aufgenommen mit der Digitalbrille am Abend zuvor, auf den Server, um es als Suchmuster nutzen zu können. Dann gab ich meine neue E-Mail-Adresse ein und schickte die Suchanfrage ab.

Ab dann hieß es Hoffen und Bangen.

 

*

 

Zwei Tage waren vergangen, seit uns Pérez in der Bronx gelinkt hatte. Zwei Tage, in denen er sich hatte sicher fühlen dürfen.

Ich war bestrebt, daraus keinesfalls drei Tage werden zu lassen.

Die Dunkelheit hatte sich über Hatch, New Mexiko gelegt wie ein samtenes Tuch. Hier sagten sich ohnehin Fuchs und Hase gute Nacht. Der Ort zählte nicht einmal 2000 Einwohner. Einzig die grüne Chili, laut BBC die beste Chili der Welt, hatte den Ort berühmt gemacht. Während der Ernte trieb es einem schon die Tränen in die Augen, wenn man den Ort nur passierte.

Und das war keine Übertreibung, sondern ein Fakt.

Es war auch ein Fakt, dass ich auf dem Dach eines Buchladens lag, in der Hand aber eine Armbrust, kein Gewehr, wie es beim Attentat auf JFK benutzt worden war.

Marc und ich hatten genug von der elenden Scheiße, die Pérez veranstaltete. Er hatte uns im Big Apple gelinkt, er hatte Frauen getötet und seine Untergebenen in die Schlacht gegen uns geschickt. Von all den toten Dealern ganz abgesehen.

Dem Satelliten der CIA war es gelungen, den Werwolf aufzuspüren. Hier, in Hatch hatte er sich mit zwei Männern getroffen, die normalerweise illegale Einwanderer von Mexiko in die Vereinigten Staaten schleusten. Hin und wieder nahmen aber auch Verbrecher ihre Dienste in Anspruch, um in die andere Richtung zu reisen.

Wir wussten, wann das Spiel losgehen sollte, und hatten vor, die Regeln nachhaltig zu ändern.

Geduld ist die Stärke des Marshals, hatte man mich während der vier Wochen Ausbildung in Mount Paxton gelehrt.

Da sich dies mit den Sprüchen meines Ausbilders bei der Agency deckte, lag ich recht gelassen auf dem Dach und wartete.

Um kurz nach zehn wurde meine Geduld belohnt.

Pérez verließ eine schäbige Unterkunft, in der er sich versteckt gehalten hatte, schaute sich misstrauisch um und schlenderte schließlich über die Straße.

Ein Wagen fuhr vor, in ihm saßen zwei Personen. Dank der Brille erkannte ich, dass es sich um die Schlepper handelte.

»Zugriff!«

Plötzlich jagten Polizeiautos herbei und blockierten die Straße. Marc spurtete aus einem Haus, die Waffe in der Hand.

Während sich die Cops um die Schlepper kümmerten, wollte Marc unsere Zielperson verhaften.

Aber Pérez sah nicht ein, dass das Spiel zu Ende war. Er wandte sich zur Flucht und begann gleichzeitig, sich zu verwandeln.

Danke, Mistkerl!

Ich drückte ab.

Der Bolzen jagte in den Nacken des Flüchtenden, zerstörte dort die Wirbelsäule und ließ ihn kraftlos zu Boden fallen. Ein Beben floss durch seinen Leib, dann war es vorbei.

Marc schaute hinauf zu mir und hob den linken Daumen.

Der Job war erledigt!

 

*

 

»Deputy Marshal Phönix! Bitte melden Sie sich im Büro von Director Redcliff.«

»Deputy Marshal Phönix! Bitte melden Sie sich im Büro von Director Redcliff.«

»Deputy Marshal Phönix! Bitte melden Sie sich im Büro von Director Redcliff. Vielen Dank!«

Ich stand auf, wischte mir mit der Serviette den Mund ab und verließ die Kantine von Mount Paxton, um der Aufforderung nachzukommen.

Als ich eintrat, saß Marc bereits vor dem Schreibtisch unseres Chefs. Auch Second Deputy Director Alice Horn war zugegen.

»Ah, Lara. Nehmen Sie Platz«, bat Redcliff. »Wir haben nun die Berichte gelesen und die Fakten überprüft.« Unser Chef lächelte zufrieden. »Das war gute Arbeit. Sie haben Pérez nicht nur daran gehindert, seine Pläne in die Tat umzusetzen, sondern auch dafür gesorgt, dass er niemals wieder Pläne haben wird. Das NYPD war entsetzt, als es die Leichen in der Wilson-Anlage fand, und begeistert zu hören, dass sie den Fall der toten Dealer zu den Akten legen konnten.«

»Ja, wir waren fleißig«, scherzte mein Partner.

»In der Tat.« Er schaute zu mir. »Sich den Satelliten der Agency auszuleihen, entsprach nicht der Dienstvorschrift, erwies sich aber als effektiv. Wir haben mit den Kollegen in Langley gesprochen. Nach Rücksprache mit unseren Vorgesetzten und den hohen Tieren im Weißen Haus sowie im Pentagon erhalten wir nun ebenfalls offiziell Zugriff auf diese Systeme. Zumindest jene Deputy Marshals, die darauf geschult wurden.«

»Ich gebe zu, dass sich die Technik bezahlt gemacht hat!«, brummte Marc, dem mein triumphaler Blick in seine Richtung nicht entgangen war.

»Schön. Da Deputy Marshal Young ohnehin ein paar Tage Urlaub beantragt hat, werden Sie ausgewählte Mitarbeiter in dem Umgang mit den uns zur Verfügung gestellten Systemen der CIA schulen, Deputy Marshal Phönix. Vielen Dank, gute Arbeit, viel Spaß – und jetzt raus!«

Er lachte, um seinen Worten die Schärfe zu nehmen.

Wir nickten und gingen.

»Tja, und so endet der erste Fall«, sagte Marc zufrieden, während er seine Glieder dehnte. »Ich freue mich schon auf den nächsten Einsatz.«

»Ich mich auch.«

Er klopfte mir auf die Schulter, dann machte er sich auf den Weg, um seinen Urlaub zu genießen. Ich hingegen musste eruieren, wie man einen Konferenzraum reserviert. Schließlich galt es, ein paar Kollegen zu schulen.

Klingt das nicht spannend?